- indische Plastik: Von den Ashoka-Säulen zur Gupta-Kunst
- indische Plastik: Von den Ashoka-Säulen zur Gupta-KunstDie Geschichte der indischen Kunst - nicht aber die der Kunst auf indischem Boden - beginnt im 3. Jahrhundert v. Chr. unter der Dynastie der Maurya. Sie ist im Wesentlichen religiös geprägt, da der berühmteste der Maurya-Herrscher, Ashoka, den buddhistischen Glauben nicht nur selbst annahm, sondern ihn auch zur Staatsreligion erhob. Er ließ die buddhistischen Glaubensgrundsätze in Felsedikten und auf Monolithsäulen einmeißeln und verbreitete so die Lehre und Moral des Erhabenen über den ganzen Norden des Landes. Diese Inschriften zählen zu den ältesten Schriftdenkmälern Indiens, die Säulen selbst zu den frühesten und bedeutendsten Kunstwerken der Maurya-Zeit. Sie bestehen aus einem bis zu 15 m hohen, glänzend polierten, runden Sandsteinschaft, über dem sich ein Lotoskapitell mit Säulenplatte und einer oder mehreren Tierfiguren erhebt. Bei dem berühmten Löwenkapitell aus Sarnath hat sich die anfangs undekorierte Deckplatte zu einer runden Trommel gewandelt, die mit dem Radsymbol und vier Tiergestalten - Löwe, Elefant, Stier und Pferd - verziert ist. Die lange Jahre vertretene Theorie, dass diese kunstfertigen Steinmetzarbeiten auf persische Einflüsse zurückgehen, wird in der Fachwelt immer stärker angezweifelt. Man glaubt heutzutage, freistehende Monolithsäulen könnten bereits vor Ashokaeine lange Tradition in Indien selbst gehabt haben und nur deshalb nicht überliefert sein, weil sie möglicherweise früher aus vergänglichem Material wie Holz geschaffen waren.Ashokawerden auch Stiftungen von Höhlentempeln zugeschrieben, wie etwa die Lomasha-Rishi-Höhle in den Barabar-Bergen nahe Rajgir in Bihar. Sie wurde für die Ajivikas, Mitglieder einer Asketensekte, angelegt. Die in den harten Granit, eigenartigerweise parallel zur Bergwand, geschlagene Höhle ist von einfachem Grundriss und nicht dekoriert. Die Eingangsfront, die aus einem Caitya-Bogen besteht, der von senkrechten Scheinbalken gestützt wird, hat man der Holzarchitektur nachgebildet. Zwei reliefierte Friese am Eingang, von denen nur der untere figürliche Darstellungen - vier Elefantenpaare zwischen Stupas - zeigt, bilden den einzigen Schmuck der Höhle.Von den zahllosen Stupas und Klöstern, die König Ashoka in Auftrag gegeben haben soll, ist kaum etwas überliefert. Erhalten ist jedoch eine stattliche Anzahl von Terrakotta-Figürchen, deren religions- und kunstgeschichtliche Bedeutung lange unterschätzt wurde. Sie stehen am Beginn der indischen Kunst und spiegeln deren Entwicklung wider. Anfangs werden diese Figuren vollständig mit der Hand geformt. Aus der darauf folgenden entwickelteren Phase sind, neben vollständig in der Form hergestellten kleinen Tafeln, Figürchen bekannt, die teils mit einem Model und teils handgeformt sind. Vermehrt werden auch Frauengestalten gezeigt, die auf einen frühen Muttergöttinnenkult schließen lassen.Zu den bedeutendsten Steinskulpturen der Shunga-Zeit (2.-1. Jahrhundert v. Chr.) gehören die Zaunreliefs der buddhistischen und jainistischen Stupa-Anlagen. Den sehr flach geschnitzten buddhistischen Reliefs von Bharhut fehlte anfangs jegliche Raumordnung und Perspektive. Um so kunstfertiger beherrschten die Bildhauer die Fertigkeit des Ornamentierens. So sind pflanzliche Motive, die sich in den Medaillons und auf anderen Teilen der Zäune befinden, der Natur so liebevoll und detailgetreu nachempfunden, dass sich in vielen Fällen Pflanzen und Bäume bestimmen lassen. Die Figuren am Steinzaun stehen in enger Beziehung zu den rundplastisch gearbeiteten, überlebensgroßen, halbgöttlichen Yakshas und Yakshis, die wir vor allem aus Mathura kennen. Zu ihnen zählt auch der massige Parkham-Yaksha.Ab der Zeitenwende erschaffen alle großen Religionen Indiens ihre Götterbilder in Stein. Um ihrer kultischen Verehrung Ausdruck verleihen zu können, entwickeln die Buddhisten ihr Buddha-Bild, die Hindus die Ikonographie ihrer Hauptgötter Shiva und Vishnu und die Jainas Darstellungen ihrer Religionsstifter.Zwei weit voneinander entfernt gelegene Orte zeichnen sich in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten durch besonders hohe Produktivität und große Fertigkeit im Kunstschaffen aus: Gandhara und Mathura. Das alte Kulturzentrum Gandhara, im heutigen Gebiet von Pakistan und Afghanistan gelegen, galt vom ersten bis zum sechsten Jahrhundert n. Chr. neben Mathura als heilige Region des Buddhismus. Hier fand man nur wenige hinduistische Bildwerke. Die zweihundertjährige baktrisch-griechische Herrschaft hat die künstlerische Stilentwicklung Gandharasentscheidend geprägt. Das Gandhara-Reich war unterschiedlichen politischen Einflüssen unterworfen: Nach den Griechen von iranischen Völkern bedroht, geriet es in den Machtbereich der Kushanas. Dadurch entwickelte sich eine merkwürdige Mischkunst aus griechisch-römischer Formgebung und buddhistischen Inhalten. Neben den stehenden oder sitzenden Bodhisattva- und Buddha-Skulpturen entstanden in großer Anzahl szenische Reliefs, die das Leben des Buddha und Begebenheiten aus seinen Vorgeburten erzählen. Die zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert n. Chr. entstandenen Gandhara-Skulpturen sind in grauschwarzem bis grünem Schiefer gearbeitet; daneben haben die Künstler im 5. und 6. Jahrhundert auch in dem leichter formbaren, jedoch vergänglicheren Stuck gestaltet. Die bemalten Terrakottafiguren aus Fondukistan, einem Ort nördlich von Kabul, die wahrscheinlich aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. stammen, leiten über zu der im 8./9. Jahrhundert zur Hochblüte gelangten Kunst von Kaschmir. Die wegen ihrer monumentalen Abmessungen beeindruckendsten Skulpturen Gandharas sind die beiden hoch in den Bergen Afghanistans, in der Klosteranlage von Bamian, aus dem Berg geschlagenen kolossalen Buddha-Figuren; die größere ist 53 m hoch.Mathura, zwischen Delhi und Agra am Ufer des heiligen Yamuna, eines Nebenflusses des Ganges, gelegen, war in der Kushana- und Gupta-Zeit die bedeutendste religiöse Stätte Nordindiens. Hier sind sowohl die frühen Buddha- und Jina-Bildnisse als auch hinduistische Bildwerke in dem typischen rötlichen, weiß gefleckten Sandstein aus den Steinbrüchen von Sikri entstanden. Imposant sind überlebensgroße stehende Figuren, so der von dem Mönch Bala um 100 n. Chr. für Sarnath gestiftete Buddha, der mit seiner Höhe von 2,50 m herrschaftliche Macht ausstrahlt. Zu den berühmtesten Darstellungen der Kushana-Zeit gehört der sitzende Katra-Buddha. Er stellt den Typ des Weltenherrschers dar, nicht den in Meditation versunkenen Buddha.Mathurasälteste Jina-Darstellungen befinden sich auf den steinernen quadratischen Votivtafeln des 1. Jahrhunderts n. Chr., den Ayagapatas. Die Jinas werden meist nackt und in sehr steifer Körperhaltung wiedergegeben. Sie haben keinen oder nur die Andeutung eines Haarknotens und sind oft mit einem Shrivatsa-Symbol auf der Brust gekennzeichnet. Neben den monumentalen Bildwerken, die die Kushana-Herrscher in Auftrag gaben, schufen die Bildhauer Mathuras die Vorläufer der hinduistischen Bilderwelt. Es entstanden Shiva-Lingas mit einem oder vier Gesichtern, Darstellungen des Gottes Skanda-Karttikeya oder der den Büffeldämon tötenden Göttin Durga, des Gottes Vasudeva-Vishnu und des Sonnengottes Surya.Unter der Herrschaft der Gupta-Könige wurden in einer vergleichsweise friedvollen Zeit die schönsten Skulpturen und Malereien der indischen Kunst geschaffen. Obwohl auch hier nur religiöse Bildwerke überliefert sind, gibt die Dichtkunst zahlreiche Hinweise darauf, dass die höfische Kultur auch Weltliches hervorgebracht haben muss. Es ist offensichtlich, dass der Gupta-Stil charakteristische Architekturformen und Motive des Kushana-Stils übernommen hat. Doch verliert sich schon bald das Untersetzte und Steife der Figuren. Verfeinerte Gesichtszüge und idealisierte Körperformen werden hervorgehoben, dem Schönheitsideal des »Goldenen Zeitalters«, das nach nach vollen Lippen, mandelförmigen Augen und Spirallocken verlangte, entsprochen. Zum charakteristischen Merkmal der Gupta-Zeit schließlich wird die dreifache Körperbeugung (Tribhanga).In den wichtigsten Bildhauerschulen, in Mathura und Sarnath, entstanden gewaltige Buddha-Skulpturen. Die von den gesenkten Lidern zu drei Vierteln verdeckten Augen verleihen ihnen einen Ausdruck von Ruhe, Innenschau und Vergeistigung. Das den Körper des Erhabenen umhüllende Mönchsgewand lässt die Glieder deutlich durchscheinen. Beim den Buddha-Figuren aus Sarnath fehlen die im 5. Jahrhundert in Mathura noch üblichen, symmetrisch geordneten Gewandfalten, um die bemerkenswert schlanken Körperformen hervorzuheben.Mit der raschen Verbreitung des Hinduismus stieg in den folgenden Jahrhunderten auch der Bedarf an Tempeln und Kultbildern. Schon bald formte sich ein Pantheon aus, das den shivaitischen und vishnuitischen Gottheiten ihre endgültige Gestalt gab und verschiedenartige Erscheinungsformen des Göttlichen hervorbrachte; die großen Götter Shiva und Vishnu werden, wie in den Höhlen von Elephanta bei Bombay, einzeln oder in einer Gestalt (Harihara) gezeigt; auch Shiva und seine Frau Parvati sind oft in Form einer einzigen Figur (Ardhanarishvara) dargestellt. Daneben entwickeln sich die Darstellungen der unterschiedlichen Inkarnationen. In Höhle 5 in Udayagiri bei Vidisha und in Eran mehren sich die monumentalen Skulpturen des Gottes Vishnu in seiner Inkarnation als Eber. Ebenfalls in Udayagiri, Höhle 6, hat die Darstellung der Göttin Durga ihren Höhepunkt erreicht.Durch große Eleganz und Lebendigkeit beeindrucken besonders die Gupta-Terrakotten. Zu den bemerkenswertesten zählen die nahezu 1,50 m großen Flussgöttinnen Ganga und Yamuna, die in einem großen Ziegeltempel bei Ahichchatra gefunden wurden und heute im Nationalmuseum in Delhi ausgestellt sind. Doch auch Ausgrabungen an den Stupas von Devnimori in Gujarat und Mirpur Khas in Sind brachten reichhaltigen Terrakottaschmuck zutage. Neben ornamentalen Architekturfriesen fand man hier eine Reihe äußerst kunstfertig geformter Buddha-Figuren.Aber nicht nur die Plastik, auch die Malerei gelangte im »Goldenen Zeitalter« zu früher Blüte. In den Höhlenklöstern von Ajanta in Maharashthra, in Bagh und in Sigiriya auf Sri Lanka treten dem Besucher neben plastischen Darstellungen die ältesten Wandgemälde Südasiens, Zeugnisse buddhistischer Monumentalmalerei, entgegen. Die farbenprächtigen Bilder illustrieren die Buddha-Legende, vermitteln daneben aber auch einen lebendigen Eindruck vom höfischen Leben im Palast.Prof. Dr. Marianne YaldizSivaramamurti, Calambur: Indien. Kunst und Kultur. Übersetzung und Bearbeitung der deutschen Ausgabe von Oskar von Hinüber. Freiburg im Breisgau u. a. 41987.
Universal-Lexikon. 2012.